Abgesehen von Fausts Ausdrucksweise erkenne ich in ihm viele Eigenschaften - wie beispielsweise Wissensdurst und das Streben nach Glück - die auch einen modernen Menschen im 21. Jahrhundert ausmachen. Faust hat erkannt, dass er mit seinem Leben und sich selbst nur zufrieden wäre, wenn er die vollkommene Weisheit erlangen würde (z.B. V.354 ff). Das Ziel der Erleuchtung ist natürlich kein kleines und somit ist es nicht verwundernswert, dass Faust von Depressionen und sogar Suizidgedanken gequält wird, da er sich der Erlangung seines Ziels nicht nahe sieht.
Einerseits muss man Faust seine Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit mit der er sein Ziel verfolgt hoch anrechnen, doch andererseits ist Faust auch fanatisch. Sein Perfektionismus treibt ihn fast in den Selbstmord und ich frage mich, warum Faust der Auffassung ist, dass der Tod ihn zu einem Weisen machen würde (z.B. V.480/1). Sicherlich existiert im Christentum die Vorstellung von einem Jenseits in dem man Gott nahe ist, jedoch macht Faust ansonsten keinen allzu religiösen Eindruck auf mich (z.B. V.765). Im Vergleich zu Gretchen ist er nicht so oft in der Kirche anzutreffen (z.B. V. 2621-2625, V. 3413 ff.), auch lässt sein moralisches Denken und Handeln nach der Einnahme des Zaubertranks zu wünschen übrig. Beispielsweise geht Faust die Liebesbeziehung zu Gretchen ein, ohne sich über mögliche Konsequenzen für sie zu sorgen und gegebenenfalls sein Verlangen zu unterdrücken (z.B. V. 3282 ff.). Noch viel frevelhafter ist, dass er gleich zweimal das sechste Gebot "Du sollst nicht töten!" bricht, indem er Gretchens Mutter und Bruder ermordet.
Wenn Faust sich nun als Ziel die vollkommene Weisheit setzt, dann finde ich nicht, dass man in diesem Fall sagen kann,dass der Weg das Ziel sei, denn wer außer Gott weiß schon wie man es zu Allwissenheit bringt?! Faust hat es zwar durch seine diversen Studien (V. 354-361, 386-397) zu angefangener Weisheit (sapientia incohata) gebracht aber von vollkommener Weisheit (sapientia perfecta) hält er sich selbst noch weit entfernt, sonst wäre er wohl kaum so verzweifelt und rastlos danach auf der Suche.
Natürlich muss man Faust wieder zu Gute halten, dass er durch seine Studien sein Umfeld (Freunde, Schüler, Bekannte,...) bereichert und dass durch wissbegierige, gebildete Mensche wie ihn die Welt erst fortschrittlich wurde bzw. immernoch wird. Doch bei mir bleiben die Bedenken bestehen, dass man vollkommene Wisheit vielleicht nur ganz oder gar nicht erlangen kann (Vergl. ältere Stoa).
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